Selbsthilfe Schlafapnoe Koblenz & Umland e.V.
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Februar

Im Schlaf erstickt!

 

Der plötzliche Kindstod

 

Es ist der Albtraum aller Eltern: Sie wachen morgens auf, schauen nach ihrem neugeborenen Kind und es liegt leblos da. Tot. Dieses Horrorszenario passiert in Deutschland etwa 120-mal pro Jahr. Jahrhundertelang haben Ärzte und Wissenschaftler über die mysteriösen Todesfälle junger Säuglinge gerätselt. Eine Spur führt zum Schlaf, eine andere zu einem amerikanischen Präsidenten.

Als ich zum ersten Mal vom Zusammenhang zwischen plötzlichem Kindstod und Schlaf höre, stehe ich auf einer Schlafmesse in Berlin inmitten von Kissenverkäufern, Matratzenhändlern und Antischnarchbinden-Anbietern. Was macht der Stand einer Elterninitiative auf einer Schlafmesse? Die Kinder scheinen im Schlaf zu versterben. Nicht beim Spielen, nicht beim Stillen. Mir wird ein Zettel mit Verhaltenshinweisen zur sicheren Schlafumgebung für Neugeborene in die Hand gedrückt. Die Ursache erfahre ich nicht. Wie kann es sein, dass ein Kind unvermittelt aus dem Schlaf heraus verstirbt? Ohne Hinweise auf schwerwiegende genetische Ursachen, ohne erkennbare Vorerkrankungen? Die Geschichte lässt mich seitdem nicht mehr los und ich grabe ein bisschen in wissenschaftlichen Publikationen, um den Ursachen auf den Grund zu gehen. Für Rechtsmediziner gleichen Fälle des plötzlichen Kindstods in jeder Hinsicht denen eines Erstickungstods. Deshalb wird in Deutschland nach einem plötzlichen Kindstod immer auch die Kripo gerufen. Für Eltern zusätzlich traumatisierend: Gerade haben sie das Wichtigste in ihrem Leben verloren, ihr Neugeborenes – nun steht auch noch der Verdacht im Raum, sie hätten ihr Kind ermordet. Wenn es kein Mord war, wovon auszugehen ist, wie kann es dann sein, dass Kinder plötzlich im Schlaf keine Luft mehr bekommen und ersticken?

Vergessen Kinder im Schlaf zu atmen?

Die Geschichte zur Aufklärung dieses Mysteriums ist geprägt von Medizinirrtümern. Für einen Arzt ist es unbehaglich, einem Elternpaar gegenüberzusitzen, das ihr scheinbar gesundes Kind unerwartet verloren hat. Noch unangenehmer ist es einzugestehen, dass man keine medizinische Erklärung für das Unglück hat. Möglicherweise haben sich die Ärzte deshalb über Jahrhunderte alle möglichen Erklärungen für das unerwartete Sterben ausgedacht, um die Eltern nicht in die Leere der Grundlosigkeit zu entlassen. 1963 starb ein frühgeborenes Kind von John F. Kennedy, dem damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Es kam sechs Wochen zu früh auf die Welt und musste sterben, weil es damals noch keine passenden Beatmungsgeräte für Frühgeborene gab. Aus Erschütterung über den Verlust, der durch weiterentwickelte Geräte hätte vermieden werden können, stattete Kennedy das frisch gegründete National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) großzügig mit Geldern aus. Die Forschung im Bereich der Neugeborenenheilkunde wurde in einmaliger Art und Weise vorangetrieben. Dank der gesteigerten Forschungsintensität fanden die Forscher schnell heraus, dass insbesondere frühgeborene Kinder unter gelegentlichen Atemaussetzern leiden. Der Schluss lag nahe, dass Kinder, die am plötzlichen Kindstod sterben, im Schlaf schlicht und einfach vergessen zu atmen. In den darauffolgenden Jahren wurden in den USA daraufhin über 20 Millionen Atemüberwachungsgeräte an Eltern verkauft – jedoch ohne praktischen Nutzen, wie sich später herausstellen sollte. Sie dienten lediglich der Beruhigung verunsicherter Eltern und dem Profit der Hersteller. Jahre später stellte man fest, dass Kinder, die trotz Atemkontrollgeräten am plötzlichen Kindstod verstarben, bis zum bitteren Ende atmeten. Von „zu atmen vergessen“ konnte also keine Rede sein. Kurz vor ihrem Tod zeigten die Kinder Schnappatmung – eine besonders starke Atmung, die nur bei starkem Sauerstoffmangel auftritt

und das Überleben sichern soll. Die Kinder schienen also vielmehr zu ersticken. Eine rechtsmedizinische Untersuchung deutete in die gleiche Richtung: An plötzlichem Kindstod verstorbene Kinder zeigten kleine, flohstichartige Blutungen auf dem Rippenfell und dem Herzbeutel, sogenannte Petechien. Diese entstehen unter starken Druckschwankungen während der Schnappatmung, wenn gegen einen verschlossenen Atemweg angeatmet wird. Zusätzlich zeigte sich im Hirngewebe vieler Kinder eine Hirnstammgliose: eine Vernarbung von Gewebe, die auf zurückliegende Perioden von Sauerstoffmangel hinweist. Demnach hatten verstorbene Kinder schon häufiger bedrohliche Episoden von Sauerstoffmangel erlitten. Mehrfach hatten sie schon ums Überleben gekämpft.

Eine falsche Empfehlung und ihre Folgen

Anfang der 70er Jahre empfahlen westliche Ärzte die Bauchlage für Säuglinge. Davor waren Kinder traditionell in Rückenlage schlafen gelegt worden. Durch die Bauchlagerung, so die Ärzte, sollten vermeintlich frühkindliche Haltungsschäden verhindert werden. Eine Theorie, die nie bestätigt werden konnte. Wahrscheinlich einer der tragischsten Irrtümer in der Geschichte der Medizin. In der Tat schlafen Kinder in Bauchlage ruhiger ein und schreien nachts seltener. Doch in den darauffolgenden Jahren schnellte die Zahl der plötzlichen Kindstodsfälle nach oben. In der DDR erkannte man bereits 1972, dass die Bauchlage den plötzlichen Kindstod förderte, nachdem innerhalb kürzester Zeit sieben Säuglinge in Krippen gestorben waren. Alle waren in Bauchlage schlafen gelegt worden. In Westdeutschland waren Kinderkrippen für Säuglinge kaum verbreitet. Der sozialistischen Medizin wurde kein Vertrauen geschenkt. Deshalb beharrten westliche Ärzte auf der tragischen Empfehlung, Kinder in Bauchlage schlafen zu legen. Erst Ende der 80er Jahre analysierte der niederländische Kinderarzt Guus de Jonge den Zusammenhang zwischen Bauch-Schlaflage und dem Auftreten von Kindstodfällen. Für seine auf reiner Erfahrung basierende Empfehlung, Babys nur noch in Rückenlage schlafen zu legen, wurde er vonseiten der Ärzteschaft stark angegriffen. Die Eltern folgten jedoch seinem Rat und die Zahl der Kindstodfälle sank. Diese einfache Empfehlung rettete seitdem allein in Deutschland jedes Jahr tausend Säuglingen das Leben! Erlagen Anfang der 90er Jahre noch über 1200 Kinder dem plötzlichen Kindstod, sind es heute nur noch 120 bedauerliche Fälle jährlich.

Die gefährliche Bauchlage

Warum ist nun die Bauchlage gefährlich? Um das herauszufinden, besuchte der Tübinger Neonatologe Prof. Christian Poets Familien, die ein Kind durch einen plötzlichen Kindstod verloren hatten, und stellte mit ihnen die Situation nach, in der sie die Säuglinge aufgefunden hatten. Das Kind war in Bauchlage unter die Bettdecke gerobbt. Umgeben von atmungsdichtem Textil, war es nicht in der Lage gewesen, sich aus dieser gefährlichen Position zu befreien. Ein Drittel der Kinder wurde mit solch überdecktem Kopf aufgefunden, obwohl Kinder ansonsten nur in absoluten Ausnahmefällen derart morgens im Bett liegen. Babys lieben es, wie im Mutterleib eine Begrenzung zu haben, und vergraben deshalb ihren Kopf in Decken, Kissen, weichen Matratzen oder den Seiten von „Babynestchen“. Wenn sie in solch einer Umgebung keine Luft mehr bekommen, wachen aber die allermeisten von ihnen auf und befreien sich aus der Situation. Warum ist dieser Reflex bei einigen Säuglingen nicht stark genug ausgeprägt? Über 90% deplötzlichen Kindstodfälle ereignen sich in den ersten sechs Monaten, insbesondere zwischen dem zweiten und vierten Monat. Könnte es an der Bewegungsfähigkeit der Kinder liegen? Kleinkinder bewegen sich bereits ab dem zweiten Monat, können sich jedoch erst mit fünf Monaten drehen. Sie bewegen sich, ohne sich befreien zu können. Vielleicht der Schlüssel zur Ursache durch Ersticken.

Wie Beobachtung Leben retten kann

Wenn man nicht weiß, woher eine Krankheit kommt, und dennoch die Bevölkerung schützen will, dann hilft es, die Umgebungsbedingungen zu beobachten und daraus Verhaltenshinweise abzuleiten. 1854 herrschte eine Choleraepidemie in London. Der englische Mediziner John Snow machte sich auf die Suche nach der Ursache. Er befragte Erkrankte, woher sie ihr Wasser bezögen. Nach einigen Tagen hatte er einen Hotspot in der Broad Street ausgemacht. Immer wieder erwähnten Kranke, dass sie – wenn auch nur wenig – Wasser aus der Broad Street getrunken hätten. Snow überzeugte die örtlichen Gesundheitsbehörden, den Pumpenstengel zu entfernen, und die Choleraepidemie ebbte nach wenigenTagen ab. Ohne zu wissen, was es mit der Pumpe auf sich hatte, ohne einen Schimmer davon zu haben, was überhaupt ein Bakterium war, hatte John Snow eine Krankheitsepidemie gestoppt. Er hatte eine Verbindung zwischen Umweltbedingung und Krankheitsentstehung gezogen und damit das Feld der Epidemiologie begründet: Zur Begründung von Verhaltensmaßnahmen und zum Verhindern einer Krankheit muss nicht zwingend ihre Ursache bekannt sein; es genügt, zu wissen, wie man ihr aus dem Weggehen kann. Der Erreger der Cholera, das Bakterium Vibrio cholerae, wurde erst 30 Jahre später vom deutschen Mediziner Robert Koch identifiziert.

Auch die Ursache des plötzlichen Kindstods ist nicht abschließend geklärt. Den Epidemiologen ist es jedoch zu verdanken, dass wir seit 1990 einen massiven Rückgang der plötzlichen Kindstodsfälle um mehr als 90 % in Deutschland verzeichnen konnten. Durch abgeleitete Verhaltenshinweise konnte vielen Kindern das Leben gerettet werden. Zwei wesentliche Risikofaktoren haben sich herauskristallisiert: stark rauchende Eltern und die Bauchlage während des Schlafs bei Kleinkindern. So ist das Risiko eines Kindes, am plötzlichen Kindstod zu versterben, 13-mal höher, wenn es in Bauch- statt in Rückenlage schlafen gelegt wurde. Ist die Mutter passionierte Raucherin und schläft das Neugeborene zusammen mit den Eltern im Bett, ist das Risiko um das 18-Fache erhöht. Bei rauchenden Eltern ist die Weckschwelle während des Schlafes gehemmt. Vermutlich kommt es zum plötzlichen Kindstod durch Überrollen und somit zum Verdecken der Atemwege im Schlaf. Ähnlich gelagert sind seltene Fälle von völlig entkräfteten und übermüdeten Müttern, die nach der Geburt mit ihrem Kind auf der Brust liegend einschlafen. Der Schlafentzug wirkt wie ein starkes Narkosemittel. Das Kind wird von der völlig entkräfteten Mutter gestillt, beide schlafen ein, die Mutter rollt sich bewusstlos auf die Seite und vergräbt ihr Kind unter sich. Am sichersten ist es daher, das Kind im Beistellbett oder im eigenen Bettchen im Zimmer der Eltern schlafen zu lassen. Damit sich der Säugling im Schlaf nicht misslich verlegt, sollte man auf Decken, Kissen und Kuscheltiere verzichten. Denn Kinder, die vor dem ersten Geburtstag unter einer Decke schlafen, haben ein 35-fach erhöhtes Risiko für einen plötzlichen Kindstod. Deshalb sollte man das Kind in einen Kinderschlafsack betten. Dieser sorgt für eine gute Temperatur und schützt vor Überhitzen. Die Matratze des Kinderbettchens sollte hart sein, damit das Kind seinen Kopf nicht darin versenken kann. Mittlerweile sind sich die Forscher darüber einig, dass bei einem plötzlichen Kindstod mehrere Faktoren zusammenkommen müssen: Erstens muss es sich um eine kritische Phase in der Entwicklung (Alter: zwei bis vier Monate), zweitens um einen irgendwie verletzlichen Säugling handeln, der schon von Natur aus einen schwächeren Atemreflex hat und ungünstig in der Bauchlage liegt; und dann muss noch eine Umweltbelastung wie beispielsweise Überwärmung, Infekt der oberen Atemwege oder Rauch in der Umgebungsluft dazukommen. Aufgrund des Vergleichs Hunderter Kindstodfälle empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin folgende Maßnahmen4:

Rückenlage

Rauchfrei

Richtig gebettet

Sie lassen sich in dem Akronym „die drei R“ zusammenfassen und sind daher leicht zu merken. Auf dem Markt gibt es eine Reihe von technischen Geräten, die an den Strampler geklippt oder Babys als Söckchen über den Fuß gezogen werden. Mithilfe von Licht- und Bewegungssensoren sollen Herzschlag, Atmung, die Sauerstoffsättigung im Blut des Säuglings sowie jedes Umdrehen gemessen und kontrolliert werden. Es gibt keine Daten, die diesen technischen Geräten einen Nutzen attestieren. Im Gegenteil: Sie erzeugen Unsicherheit bei den Eltern und sind allesamt unnötig. Mit den drei R ist das Risiko so gering, dass Eltern sich beruhigt schlafen legen können!

1) Poets, C. F., Meny, R. G., Chobanian, M. R., & Bonofiglo,

R. E. (1999). Gasping and other cardiorespiratory patterns

during sudden infant deaths. Pediatric Research, 45(3),

350-354. doi:10.1203/00006450-199903000-00010

2) de Jonge, G. A., Engelberts, A. C., Koomen-Liefting, A. J.,

& Kostense, P. J. (1989). Cot death and prone sleeping

position in The Netherlands. BMJ, 298(6675), 722.

3) Schlaud, M., Dreier, M., Debertin, A. S., Jachau, K.,

Heide, S., Giebe, B., . . . Kleemann, W. J. (2010). The German

case-control scene investigation study on SIDS: epidemiological

approach and main results. International Journal

of Legal Medicine, 124(1), 19-26. doi:10.1007/s00414-009-

0317-z

4) Carpenter, Lancet 2004; 363; 185-191

Schlafmagazin 4/2020

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